Christian Drosten
©Peter Badge/Typos1

KlarText-Sonderpreis „Die Information der Öffentlichkeit ist so wichtig wie die Entwicklung eines Impf­stoffes“

Über Nacht wurde Christian Drosten zum prominenten Berater von Politik und ­Öffentlichkeit. Für seine verständliche Kommunikation während der Corona-­Pandemie erhält er den KlarText-Sonderpreis für Wissenschaftskommunikation

Die App heißt muPro und leuchtet in sattem Blau auf dem Tablet von Christian Drosten. Sie wird im ARD-Hörfunk genutzt und dient der Über­tragung von Live-Gesprächen in den Sender. Als die Corona-Pandemie in Deutschland ausbrach, klickte er ­täglich auf diese App, um zwei Wissenschafts­journalistinnen vom NDR Rede und Antwort zu stehen. Der Podcast „Corona­­virus-Update“ über die aktuelle Forschung wurde rasch zum meist­gehörten Format in deutscher Sprache, das es jemals gab.

Christian Drosten ist 48 Jahre alt und leitet das Institut für Virologie an der Charité in Berlin. Sein ganzes Wissenschaft­l­erleben forscht er schon über Corona-Viren. Der Mann aus dem Emsland ist eine Koryphäe auf seinem Fachgebiet, in Mediziner­kreisen ist er weltweit bestens vernetzt. In der Öffentlichkeit kannte ihn hingegen kaum jemand.

Doch während der Corona-Pandemie änderte sich das, und Christian Drosten wurde zum Vorreiter einer neuen Wissenschafts­kommunikation: Während über Forscherinnen und Forscher früher vor allem erst dann berichtet wurde, wenn sie Durch­brüche vermeldeten oder eine neue Studie vorstellten, kann die Öffentlichkeit ihnen jetzt während der Arbeit über die Schulter schauen. Jede neue Erkenntnis, jede neue Studie über Corona hat ja einen Nachrichten­wert.

Wegen des Ernstes der Lage sind Forscherinnen und Forscher gefragt, die sie ein­sortieren können. Und das kann Christian Drosten auf eindrucks­volle Weise. „Die schlaue Eminenz“ nennt ihn der ­Tages­spiegel in einem Porträt, aber dabei geht es nicht um einen Personen­kult: Während der Corona-Pandemie erlebt das Ansehen der Forschung eine Renaissance. So greifbar ist die Bedrohung durch das Virus, dass das Vertrauen in die Wissenschaft stark ansteigt. Der stern brachte dieses kollektive Aufatmen auf den Punkt: „Drosten hat geschafft, was bislang noch niemandem gelungen ist – wir hören auf einen Wissenschaftler!“

Christian Drosten
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Christian drosten wurde 1972 in Lingen geboren. Er studierte Chemie­technik und Biologie in Dortmund und Münster. Von dort ging er zum Medizin­studium nach Frankfurt. Nach Stationen am Bernhard-Nocht-Institut für ­Tropen­medizin in Hamburg und am Universitäts­­klinikum in Bonn über­nahm er 2017 die Leitung des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin.

Christian Drosten macht es einem leicht, ihm zuzuhören. Im Podcast „Corona­virus-Update“ holt er bei seinen Antworten exakt so weit aus, dass auch Laien virologische Feinheiten verstehen. Millionen von Zuhörerinnen und Zuhörern erlebten quasi in Echtzeit, wie sich wissenschaftliche Erkenntnis entwickelt.

Einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leistete Christian Drosten mit seinem Team übrigens gleich zu Beginn: Als weltweit Erster entwickelte er einen Test für das Virus – die Anleitung dazu veröffentlichte er nicht in einem Fachjournal, sondern verschickte sie mitsamt der nötigen ­Reagenzien gleich an die führenden Labors, damit in der ­Bekämpfung der Pandemie ja keine Zeit verloren ging.

Das folgende Gespräch mit Christian Drosten führten wir telefonisch. Die Fragen stellte Kilian Kirchgeßner

Herr Drosten, erinnern Sie sich an den Moment, als Ihnen klar wurde, was da mit COVID-19 auf uns zukommt?
Ich habe die Situation zunächst anders eingeschätzt. In der ersten Januar­woche dachte ich: Okay, das ist ein Sars-Virus, das wir sicher sehr ernst nehmen müssen, aber das sich wohl kontrollieren lässt. Dann sah ich aber, dass es sich dafür ein bisschen zu schnell verbreitet. Da sagte ich zu meiner Frau: Wenn das was anderes ist, dann wird das ein globales Problem. Dann reden wir in diesem Jahr über nichts anderes mehr.

Und genauso kam es dann ja auch. Wann erhielten Sie denn die ersten Proben?
Nachdem es die ersten Fälle in München gab, in der zweiten Januarhälfte also. In Wuhan war bereits ein Lockdown verhängt worden. Da war jedem klar: Das muss eine gravierende Situation sein. Denn einen solchen Lockdown hatte es bei dem Sars-Ausbruch 2003 ja nicht gegeben. Nachdem mir ein Münchner Kollege in einer SMS von einem ersten Fall schrieb, schickte er uns parallel zu ihren Unter­suchungen eine Probe …

Warum das?
Das ist in unsicheren Situationen mit neuen Erregern die übliche Praxis. Da würde ein guter Labor­leiter nie sagen: Ich mache das jetzt im Allein­gang. Er wird immer ein anderes Labor hin­zu­ziehen, dem er vertraut. Da habe ich dann zum ersten Mal gesehen, wie extrem hoch die Virus­last im Rachen ist. In dem Moment wusste ich Bescheid. Das ist so, wie wenn ein erfahrener Arzt seinem Patienten manchmal schon am Gesicht die Diagnose ansieht, auch wenn Röntgen­bild, CT-Aufnahme oder Labor­tests noch gar nicht gemacht sind. Dieses Gefühl entwickelt man über die Jahre. Als erfahrener Labor­diagnostiker war mir mit Blick auf die Virus­last im Rachen sofort klar, was da im Busch ist.

Christian Drosten
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„Ich bin zwar Virologe, würde mich aber nie über das ­Herpes-Virus äußern – weil ich darüber nicht arbeite“, sagt Christian Drosten

Was genau war Ihnen da klar geworden?
Ende Januar hat man gesehen, dass das Virus wahr­scheinlich über die oberen Atemwege über­trag­bar ist. Genau das konnten wir später auch formal nach­weisen.

In einem Spiegel-Interview erzählten Sie von Ihrer Entscheidung zu jener Zeit, die Kraft Ihrer Arbeits­gruppe in die Entwicklung eines Tests zu investieren, während Sie selbst sich vor allem der Öffentlichkeits­arbeit widmen wollten.
Ich sehe die Information der Öffentlichkeit als eine wichtige Strategie gegen das Virus – genauso wie die Entwicklung eines Medikamentes oder eines Impf­stoffes. Dieses interventive Arbeiten genießt nicht die gleiche wissenschaftliche Anerkennung wie die Zahl von Publikationen in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften. Man könnte einfach die Augen und Ohren schließen und sagen: Jetzt ist mein Jahr – jetzt kann ich so viel veröffentlichen wie sonst nie mehr im ganzen Leben, weil mein Thema gerade im Schein­werfer­licht steht.

Das hat Sie nicht gelockt?
Nein, das habe ich bewusst abgelehnt, und man wird in meiner Publikations­liste später auch sehen, dass ich als Wissenschaftler aus dieser Krise keinen Profit geschlagen habe. Ich hatte das Gefühl: In dieser Situation bin ich einer der wenigen in Deutschland, die etwas sagen können, das stimmt und auf Dauer trägt. Daraus entstand dann in den Medien die Legende vom Chef­berater der Kanzlerin und so weiter. Das ist aber nicht richtig. Natürlich: Frau Merkel hat sich von mir beraten lassen – aber zur gleichen Zeit auch von anderen. Die Beratungen fanden immer nur mit Gruppen von Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftlern statt.

Mit Ihrem Podcast suchten Sie gezielt auch die breite Öffentlichkeit jenseits politischer Runden. Wie kam es dazu?
Das hatte zwei Gründe. Der erste Grund war, wie gerade ­geschildert, dass ich die öffentliche Intervention in einer solchen Pandemie für ganz wichtig halte. Und zweitens baten mich schon um die Karnevalszeit herum so viele Journalistinnen und ­Journalisten um Stellung­nahmen, dass ich die einfach nicht mehr schaffte. Da kommen dann pro Tag 20 Interview­anfragen, und man will ja alle gleich behandeln. In dem Moment kam der NDR mit dem Vorschlag, einen Podcast zu machen. Ich habe gleich zugestimmt, weil ich dort Zeit zum Erklären habe und weil eine weitgehend ungeschnittene Version veröffentlicht wird. Jeder kann nach­hören und nach­lesen, was ich gesagt habe. Alles ist original, und die öffentlich-rechtliche Quelle steht auch Journalistinnen und Journalisten zur Verfügung. Das finde ich eine gute Lösung.

Sie erklären in Ihren Interviews und im Podcast die kom­plexesten Zusammen­hänge klar und verständlich. Haben Sie eigentlich je ein Medien­training absolviert?
Nein, so etwas habe ich nie gemacht. Prinzipiell entsteht die Fähigkeit zum Erklären dadurch, dass man zum Beispiel Studierende unterrichtet und Diplomanden oder Doktorandinnen betreut. Da erklärt man immer wieder komplexe Zusammen­hänge, muss etwas ausholen und dann doch auch auf den Punkt kommen und Handlungs­anweisungen geben. Das ist eine gute Schule.

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Was würden Sie denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern raten, die in ihrem Fachgebiet sehr beschlagen sind, aber einfach nicht so gut ihre Ergebnisse vermitteln können?
Ich sehe eher den gegenteiligen Fall: Jüngere Arbeits­gruppen­leiter oder solche, die ihre erste Postdoc-Zeit hinter sich haben, fangen oft ganz umtriebig an zu twittern. Denen rate ich: Warte mal noch ein bisschen, bis du eindeutig eine ­Fach­­expertise hast auf einem Spezial­gebiet – und dann rede über dieses Spezial­­­­gebiet. Und auch nur darüber.

Und dann kommt häufig eben doch ein eher unverständlicher Wissenschaftler­sprech dabei heraus.
Es sind Journalistinnen und Journalisten, die wirklich professionell sind in der Über­mittlung von Informationen. Als Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler sollten wir nur mit unserem Einschätzungs­vermögen in Erscheinung treten. Stellen Sie sich vor, Sie bitten einen Musik­lehrer, auf dem Klavier „Hänschen klein“ zu spielen – und dann bitten Sie einen Konzert­pianisten darum. Der Musik­lehrer macht das nicht schlecht und spielt komplett fehler­frei – aber beim Konzert­pianisten erahnt man durch die Simplizität hindurch, dass dahinter noch so viel mehr steckt. Dieses Niveau kann man nur auf seinem eigenen ­Instrument erreichen – oder, um auf die Wissenschaft zurück­zu­kommen: in seinem Spezial­gebiet.

Reden also derzeit zu viele Nicht-Experten mit?
Ich bin zwar Virologe, würde mich aber nie zum Beispiel über das Herpes-Virus äußern – weil ich darüber nicht arbeite. Ich bin in dem Thema nicht kompetenter als ein Journalist, der sich gründlich eingearbeitet hat. Wenn sich Forschende aber wie Journalisten verhalten – und ein paar solcher Figuren gibt es ja in Deutschland –, dann kommt es zu Verwirrung und ­Ver­flachung. Daher entsteht in der Öffentlichkeit wie jetzt in der Corona-Pandemie die falsche Wahrnehmung, die Virologinnen und Virologen seien sich nicht einig. Aber das stimmt nicht: Die Virologen, die sich mit dem Thema auskennen, sind sich einig. Aber es gehen Virologen in die Öffentlichkeit, die nicht aus diesem Fachgebiet stammen. Und dadurch kommt es zu vermeintlichen Streitig­keiten.

Sie stehen derzeit ständig in der Öffentlichkeit. Wann geht für Sie diese Phase zu Ende – und was werden Sie dann tun?
Wenn irgendwann eine Impfung verfügbar ist, ist die akute Phase für mich vorbei. Dann ist die Pandemie beendet und wird zu einer chronischen Situation. Pläne für danach habe ich noch nicht. Da liegt ja noch eine lange Strecke vor uns, auf der man sich natürlich auch zwischendurch erholen muss. Ich will zum Beispiel nicht länger als bis sechs, halb sieben im Büro sein. Ich habe einen kleinen Sohn, und den will ich abends noch sehen.

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