Chemie Süße Fälschung
Der aus Neuseeland stammende Manuka-Honig hemmt Entzündungen und ist deshalb teuer. Für Lebensmittelbetrüger ist das ein lukratives Geschäft. Doch bestimmte Proteine helfen, die Täuscher zu entlarven
Konzentriert schaue ich auf den Bildschirm. Eine gerade Linie läuft durchs Bild, das Signal eines Chromatografiesystems. Die Vorbereitung der Probe hat ganze fünf Tage gedauert. Mehrfach musste die Substanz in Wasser gereinigt, getrocknet und wieder in Wasser gelöst werden. Dann passiert es: Das Signal steigt an und verweist auf ganz spezielle Proteine, die es nur in einem besonderen Honig aus Neuseeland gibt. Dieser Manuka-Honig ist also ziemlich sicher nicht gefälscht.
Lebensmittelbetrüger verursachen jährlich einen großen wirtschaftlichen Schaden. Gefährliche Zusätze wie Frostschutzmittel in Weinen werden dank funktionierender Kontrollen in Europa meist zügig aufgedeckt. Rein wirtschaftliche Lebensmittelkriminalität, wie zum Beispiel der Zusatz von günstigem Rapsöl zu hochwertigem Olivenöl, bleibt jedoch häufig unentdeckt. Helmut Tschiersky, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, schätzt, dass Betrüger weltweit Gewinne einstreichen, die denen aus dem Drogengeschäft oder dem Menschenhandel entsprechen.
Zu den Lebensmitteln mit besonders hohem Betrugspotenzial gehört der neuseeländische Manuka-Honig. Er stammt von Bienen, die den Manuka-Baum (das Myrtengewächs Leptospermum scoparium) anfliegen. Der Geschmack des Honigs ist gewöhnungsbedürftig und erinnert an Hustensaft. Die Ureinwohner Neuseelands verwenden ihn, um Erkältungen zu lindern und Wunden zu behandeln.
Die Ursache der besonderen, keimtötenden Wirkung des Honigs war lange Zeit unbekannt. Thomas Henle vom Institut für Lebensmittelchemie an der Technische Universität Dresden hatte 2008 eher zufällig hohe Gehalte von Methylglyoxal (MGO) entdeckt. MGO ist eine sehr reaktive, antibakteriell wirkende Verbindung und kommt normalerweise in Lebensmitteln nur in Spuren vor. Die Gehalte im Manuka-Honig sind jedoch um den Faktor 100 höher als in anderen Honigen.
Für Neuseeland war die Entdeckung der antibakteriellen Wirkung von MGO ein echter „Gamechanger“. Mit dem Ruhm stieg auch der Preis: Ein 250-Gramm-Glas des „flüssigen Goldes“ kostet bis zu 60 Euro. Verbraucher, die so viel Geld für ein Glas Honig ausgeben, möchten natürlich sicher sein, dass sie ein authentisches Produkt bekommen. Authentisch heißt: Der Honig muss aus Neuseeland stammen und aus dem Nektar der Manuka-Pflanze gewonnen worden sein. Die wertsteigernde Komponente ist – wegen seiner antibakteriellen Wirkung – das MGO.
Der Manuka-Honig erfreut sich großer Beliebtheit. Experten schätzen, dass jährlich höchstens 2000 Tonnen Manuka-Honig produziert werden. Berichten zufolge liegt die weltweite Verkaufsmenge allerdings bei über 10.000 Tonnen. Nicht alles was glänzt, ist Gold – oder in diesem Fall Manuka-Honig.
Die Fälschungen sind also ein recht lukratives Geschäft. Da MGO leicht und preiswert herzustellen ist, liegt zudem der Verdacht nahe, dass Honigproduzenten einen minderwertigen Honig mit synthetischem MGO „aufwerten“ könnten. Unser Ziel war daher, den echten vom falschen Manuka-Honig zu unterscheiden.
Die einfache Messung des MGO-Gehaltes reicht dafür nicht aus, weil sich natürliches und künstliches MGO nicht ohne Weiteres unterscheiden lassen. Unsere Ausgangshypothese lautete daher: Wenn Manuka-Honig von Natur aus MGO beinhaltet und andere Honige nicht, müssten im Lauf der Honigreifung MGO-spezifische Reaktionsprodukte entstehen, die ausschließlich im Manuka-Honig vorkommen können.
Um dies zu überprüfen, zerlegten wir Manuka-Honig und konventionelle Honige auf chemischem Wege in ihre Einzelbestandteile. Zucker und Wasser machen 97 Prozent der Honigmasse aus. Spannend sind die verbleibenden drei Prozent. Diese enthalten Proteine sowie zahlreiche andere Pflanzeninhaltsstoffe, die – wie ein Fingerabdruck – für jeden Honig individuell zusammengesetzt sind.
Bei den Proteinen handelt es sich um verhältnismäßig große Moleküle, die aus sich wiederholenden Grundbausteinen bestehen: den Aminosäuren. Im Rahmen verschiedener chemischer Reaktionen, an denen beispielsweise MGO beteiligt ist, können einzelne Proteinstrukturen miteinander reagieren und sich vernetzen. Dabei entstehen noch größere Moleküle. In Lebensmitteln beeinflussen diese hoch molekularen, bräunlichen Verbindungen häufig die Farbe des Produktes.
Für uns waren diese vor allem interessant, da sie auf das Vorhandensein von MGO und eine daraus abgeleitete Proteinvernetzung hinweisen. Um das Vorkommen von vernetzten Proteinen zu untersuchen, nutzten wir jenes chromatografische Verfahren, eine Trennmethode, mit der man große und kleine Moleküle voneinander unterscheiden kann. Dabei zeigte sich, dass im Manuka-Honig deutlich größere Makromoleküle vorkommen als in konventionellen Honigen. Im Manuka-Honig laufen also andere chemische Reaktionen ab als in Honigen ohne natürliches MGO. Für Fälscher bedeutet dies: Wer einem billigen Honig nur MGO hinzufügt, könnte dennoch überführt werden.
Doch was ist, wenn die Fälscher sich auch diesen typischen Proteincocktail besorgen? Dazu muss man wissen, wie diese chemische Signatur des MGO im Manuka-Honig entsteht. So konnten wir nachweisen, dass einzelne Aminosäuren mit MGO reagieren und dabei spezifische Reaktionsprodukte entstehen. Die Reaktion läuft sowohl mit frei vorkommenden Aminosäuren im Honig ab, wie wir beispielsweise für die Aminosäure Prolin zeigen konnten, als auch mit Aminosäuren, die in der Proteinstruktur gebunden sind. Am Ende entstehen dabei so viele neue Reaktionsprodukte, deren künstliche Herstellung so aufwendig und teuer wäre, dass sich die Fälschung nicht mehr lohnt.
Doch entstehen diese Reaktionsprodukte nicht auch, wenn man MGO künstlich zusetzt? Tatsächlich findet sich diese einzigartige Mischung auch in Honigen, denen wir künstliches MGO zugesetzt hatten – allerdings lange nicht in dem Maße wie im echten Manuka-Honig. Das sind schlechte Nachrichten für Fälscher.
Übrigens haben diese sekundären Proteinnetzwerke im Manuka-Honig eine besondere Eigenschaft: Sie fluoreszieren. Und damit könnten sie in Zukunft sogar einen Schnelltest möglich machen, der sich ohne aufwendige Laborausstattung vor Ort einsetzen ließe. Weil diese Proteinnetzwerke in konventionellen, aber auch in gefälschten Honigen in viel geringeren Mengen vorkommen, leuchtet ein echter Manuka-Honig viel stärker als ein konventioneller – und auch mehr als einer, dem künstliches MGO hinzugefügt wurde. Doch bis es in der Praxis bewährte Prüfverfahren gibt, geht der Schwindel wohl weiter. Die oben genannten Zahlen des neuseeländischen Ministeriums lassen vermuten, dass nur jedes fünfte bis sechste Glas echten Manuka-Honig enthält. Dem Verbraucher bleibt vorerst nur, auf offizielle Zertifikate der neuseeländischen Regierung zu achten. Im Internet finden sich überdies Listen mit den Namen zuverlässiger Hersteller.
„Jedes Lebensmittel kann gefälscht sein“
Ein Gespräch mit Helmut Tschiersky, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Welcher Fall von Lebensmittelfälschung ist Ihnen besonders gut in Erinnerung?
Der bekannteste Fall aus den letzten Jahren dürfte der „Pferdefleischskandal“ gewesen sein, bei dem als Rindfleisch deklarierte Produkte Pferdefleisch enthielten. Der Fall betraf mehrere europäische Staaten und führte letztendlich auch zu einer Überarbeitung der in der EU für Lebensmittel geltenden Kontrollvorschriften.
Welche Gefahren gehen von solchen Fälschungen aus?
Sie können ein gesundheitliches Risiko darstellen, zum Beispiel wenn ein Produkt unter unhygienischen Bedingungen hergestellt oder mit gesundheitsschädlichen Stoffen oder Allergenen verfälscht wird. Betrogen werden kann jedoch auch einfach durch falsche Herkunftsangaben oder Qualitätsgrade, die das Produkt höherwertiger erscheinen lassen. In diesem Fall besteht eher die Gefahr eines wirtschaftlichen Schadens.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ich im Supermarkt ein gefälschtes Lebensmittel kaufe?
Jedes Lebensmittel kann gefälscht sein. Wie hoch der Anteil gefälschter Lebensmittel im Handel ist, ist nicht bekannt. Das Risiko fürVerfälschungen steigt mit deren Verarbeitungsgrad und der Komplexität der Lieferkette. Der Verbraucher hat kaum eine Chance, gut gefälschte Lebensmittel zu erkennen.
Wie kommen Sie den Fälschern auf die Spur?
Wichtig ist die enge Vernetzung von Behörden der Lebensmittelüberwachung, der Strafverfolgung, der Zollverwaltung und spezialisierter Forschungseinrichtungen. Das Nationale Referenzzentrum für authentische Lebensmittel zum Beispiel koordiniert die Erforschung von Analysemethoden. International beteiligt sich Deutschland an den OPSON-Operationen, die das Ziel haben, Lebensmittelfälschungen weltweit aufzudecken.
Von Joachim Schüring