Bacteria methicillin-resistant Staphylococcus aureus MRSA
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Chemie Kampf den Super­keimen

Immer mehr Bakterien sind gegen Antibiotika resistent. Die Weiter­entwicklung eines Krebs­medikamentes könnte nun zu einem völlig neuen Antibiotikum führen. Auch multi­resistente Keime hätten dagegen keine Chance

von Dr. Robert Macsics

Antibiotikaresistente Bakterien sind ein gewaltiges Problem – eines, das sich auch in Zukunft noch weiter verschärfen wird. Expertinnen und Experten schätzen, dass welt­weit in jedem Jahr 700.000 Menschen den multi­resistenten Keimen zum Opfer fallen. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten sie im Jahr 2050 bis zu 10 Millionen Opfer fordern. Zu den wichtigsten Ursachen gehört der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Medizin und in der Tier­zucht, wo die Medikamente Bakterien derart unter Stress setzen, dass Resistenz zu einem entscheidenden Über­lebens­faktor wird.

Und noch etwas: Die meisten Antibiotika ähneln sich in ihrer Wirkungs­weise. Sie eint, dass sie entweder die Zell­wand oder den Stoff­wechsel der Bakterien angreifen und sie auf diese Weise abtöten. Und sie stammen alle aus dem „goldenen Zeit­alter der Anti­biotika­entwicklung“ zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren. Die meisten späteren Anti­biotika sind lediglich Weiter­entwicklungen dieser ersten Wirkstoffe. Ist ein Bakterium einmal gegen eine bestimmte Anti­biotika­klasse resistent geworden, mag eine solche Weiter­entwicklung zwar kurz­zeitig helfen, aber neue Resistenzen bilden sich rasch aus. Angesichts der geringen Zahl unter­schiedlicher Anti­biotika­­klassen ist dann schnell die Multi­resistenz erreicht – und Behandlungen schlagen nicht mehr an. Wir brauchen also ein neues Antibiotikum, das anders ist als alle, die es schon gibt.

Nun existieren insbesondere in der Krebs­therapie verschiedene Ansätze, Tumorzellen gezielt zu vernichten. Ein Beispiel sind sogenannte Kinaseinhibitoren. Diese Mittel blockieren bestimmte Signal­proteine in menschlichen Zellen, die Kinasen, wodurch sich der Tumor nicht mehr teilen kann und abstirbt. Auch Bakterien benötigen diese Kinasen – doch ist der Einsatz solcher Inhibitoren im Kampf gegen bakterielle Infektionen bisher wenig erforscht. Tatsächlich vermochten wir im Experiment das Wachstum des Bakteriums Staphylococcus aureus mithilfe des Krebsmittels Sorafenib deutlich aufzuhalten.

Robert Macsics im Labor
©Ingo Knopf
Um den antibakteriellen Effekt des Krebsmedikamentes Sorafenib besser zu verstehen, untersuchte Robert Macsics dessen Auswirkung auf die Bakterien – und fand bedeutende Unterschiede zum Wirkmechanismus im Menschen

Trotzdem tötet Sorafenib menschliche Zellen viel effektiver als Bakterien – dafür wurde es ja auch entwickelt. Wir nahmen deshalb seine chemische Struktur als Grund­lage und optimierten sie derart, dass sich die Substanz gezielt gegen Bakterien richtet. Das Ergebnis war ein Molekül, das wir „PK150“ tauften. PK150 ist als Antibiotikum nicht nur zehnmal so effektiv wie Sorafenib, es wirkt auch gegen alle Formen von multi­resistentem Staphylococcus aureus – gemeinhin bekannt als Kranken­haus­keim MRSA.

Darüber hinaus wirkt PK150 gegen eine besonders tückische Bakterienform, die „Persister-Zellen“. Das sind Bakterien, die sich in einem Ruhe­zustand befinden. Man könnte auch sagen, sie halten Winter­schlaf: Sie verbrauchen kaum Energie und teilen sich nicht. Das ist deshalb problematisch, weil viele Antibiotika nur wirken, wenn sich die Bakterien teilen. Dementsprechend überleben diese „Persister“ eine herkömmliche Anti­biotika­therapie, obwohl sie gegen das Medikament gar nicht resistent sind. Wird die Antibiotika­gabe beendet, wachen die Zellen aus ihrem Ruhe­zustand auf und vermehren sich – es kommt zu einem Rückfall der Infektion. Doch PK150 schaltet auch Persister effektiv aus.

Und noch eine wichtige Eigenschaft kennzeichnet unser Molekül: Resistenzen dagegen bilden sich allenfalls nur sehr schwer aus. Tatsächlich konnten wir bislang keine resistenten Bakterien gegen­über PK150 erzeugen, trotz vieler Versuche, in denen wir die Mutations­rate der Bakterien sogar künstlich beschleunigten.

Wie genau PK150 in den Bakterien wirkt, wussten wir aber nicht. Um dies heraus­zu­finden, verwandelten wir die molekulare Struktur derart, dass PK150 zu einer chemischen Sonde wurde. Damit konnten wir nun spezifisch diejenigen Proteine heraus­fischen, mit denen PK150 interagiert – so als hätte man eine Angel für Proteine, deren Köder PK150 ist. Bei der massen­spektro­metrischen Identifizierung der Proteine machten wir eine erstaunliche Entdeckung: Es war keine einzige Kinase dabei!

Stattdessen entdeckten wir zwei Proteine namens MenG und SpsB. MenG produziert in den Bakterien ein Molekül namens Menachinon – oder Vitamin K2. Wir Menschen nehmen es mit der Nahrung auf und benötigen es für die Blut­gerinnung. Viele Bakterien, darunter Staphylococcus aureus, müssen es selbst herstellen – ihnen dient es zur Energie­gewinnung. PK150 scheint genau diese Menachinon-Produktion zu blockieren, sodass die Bakterien quasi ihre Batterien nicht mehr aufladen können.

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Im Fall von SpsB geschieht genau das Gegenteil. PK150 behindert das Protein nicht, sondern über­aktiviert es. SpsB ist eine sogenannte Signalpeptidase. Diese fungiert in der Zell­membran als Pförtner, der dafür zuständig ist, bestimmte Proteine aus der Zelle zu schleusen. Diese „Sekretion“ ist für die Bakterien über­lebens­wichtig. Beispiels­weise kontrolliert die Zelle so den Zustand ihrer Zellwand. Und genau hier liegt vermutlich der Grund, warum ein hyper­aktives SpsB für das Bakterium fatal ist. Unter jenen Proteinen, die von SpsB ausgeschleust werden, finden sich nämlich auch viele „Autolysine“. Das sind Enzyme, die beim Abbau der Zellwand helfen. Das geschieht zum Beispiel während der Zellteilung, damit aus einer Zelle zwei werden können.

Die Aktivität dieser Autolysine ist normalerweise streng reguliert. Werden jetzt übermäßig viele Autolysine auf einmal aus der Zelle transportiert, gerät diese Regulation aus dem Gleichgewicht und die Autolysine beginnen, wahllos die Zellwand zu zerstören. In der Folge platzen die Zellen, was wir unter dem Elektronen­mikroskop beobachten konnten.

Beide Angriffsziele von PK150 – MenG und SpsB – sind bereits für sich genommen neuartig, weil keines der zugelassenen Antibiotika eine vergleichbare Wirkweise hat. Das wäre schon viel­versprechend. Die Kombination aus beiden macht PK150 aber noch stärker: Es ist diese doppelte Wirkung, die die Ausbildung von Resistenzen gegen PK150 so schwierig macht. Denn mit einer Resistenz gegen eines der beiden Proteine allein ist es nicht getan, das Bakterium muss sich gleich gegen zwei unabhängige Wirk­mechanismen anpassen – und das ist statistisch sehr unwahrscheinlich.

In einem weiteren wichtigen Schritt hin zu einer möglichen Anwendung in der Praxis konnten wir zeigen, dass PK150 Bakterien nicht nur in der Petri­schale tötet, sondern auch in dem komplexen Organismus von Mäusen. Dennoch ist der Weg zum Medikament noch weit. Derzeit arbeiten wir daran, die Substanz verträglicher zu machen. Dann könnten klinische Studien folgen, in denen die Sicherheit am Menschen getestet wird. Um diesen Prozess voran­zu­bringen, haben wir inzwischen eine Firma gegründet. Doch bis daraus ein zugelassenes Antibiotikum entsteht, werden wir wohl noch mindestens zehn Jahre warten müssen.

Das Dilemma

Warum sich die Pharma­industrie kaum noch um neue Antibiotika kümmert

Es scheint absurd: Einerseits breiten sich anti­biotika­resistente Keime weltweit aus und könnten in absehbarer Zeit für exponentiell steigende Todes­zahlen verantwortlich sein. Anderer­seits ziehen sich immer mehr Pharma­unternehmen aus der Erforschung neuer Medikamente zurück. Denn gerade wegen der raschen Ausbildung von Resistenzen ist die Lebensspanne von Anti­biotika begrenzt, ihre Entwicklung jedoch wird zunehmend teurer. Das Geschäft mit ihnen lohnt sich nicht mehr.

Das Problem bei der Entwicklung neuer Anti­biotika­klassen mit neuen Wirk­mechanismen ist stets: Die Substanzen müssen sich gegen bakterielle Zellen richten – nicht aber gegen menschliche. Zugleich müssen sie aber auch die richtigen Eigenschaften aufweisen, um vom Körper aufgenommen und in ausreichender Menge zum Infektionsherd transportiert werden zu können.

Es gibt aber auch noch eine andere Herausforderung – und die liegt in den Zulassungs­voraus­setzungen. So muss ein Unternehmen in Deutschland immer nachweisen, dass das neue Medikament wirksamer ist als ein bereits existierendes. Das ist im Fall eines neuen Antibiotikums aber gar nicht unbedingt aus­schlag­gebend. Eine Arznei, wie im Beitrag von Robert Macsics beschrieben, gegen die Mikro­organismen nur sehr schwer Resistenzen ausbilden können, wäre ja selbst bei vergleich­barer Wirksamkeit von ungeheurem Nutzen.

Es muss also etwas geschehen, damit die Warnung der französischen Abgeordneten im Europäischen Parlament, Françoise Grossetête, nicht wahr wird. 2018 sagte sie: „Die Anti­biotika­resistenz ist ein Damokles­schwert: Sie könnte unsere Gesundheits­versorgung ins Mittel­alter zurück­werfen.“ — JS

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