Neurowissenschaften Im Alter nichts Neues?
Mit den Jahren lassen Lernvermögen und Gedächtnis nach – unter anderem auch in Folge struktureller Veränderungen in zentralen Teilen des Gehirns
Vermutlich kennen Sie das: Sie wollen kurz etwas aus dem Keller holen, doch schon auf der Treppe wissen Sie nicht mehr, was es war. Ein anderes Beispiel: Ihr Freund erzählt Ihnen von einem Erlebnis aus dem gemeinsamen Urlaub – und Sie selber können sich partout nicht mehr daran erinnern. Dass wir uns nicht immer an alles erinnern können, ist normal und von Person zu Person unterschiedlich. Der eine kann sich mehr merken, der andere weniger.
Einen allgemeinen Faktor gibt es allerdings: das Alter. Tatsächlich lassen die Lern- und Gedächtnisleistungen nicht nur rein subjektiv, sondern auch objektiv messbar mit den Jahren nach. Allerdings ist bisher wenig darüber bekannt, welche Veränderungen im Gehirn dieser Verschlechterung zugrunde liegen, obwohl hier doch sehr grundlegende Fähigkeiten betroffen sind. Ob wir uns nur kurzzeitig etwas merken müssen, oder ob es langfristige Erinnerungen und auch Erfahrungen sind – all dies prägt unser alltägliches Leben und nicht zuletzt auch unsere Persönlichkeit.
Wie das Lernen und Abspeichern im Gehirn funktioniert, beschreibt eine recht gut erforschte Theorie. Demnach wird eine wahrgenommene Information zunächst daraufhin überprüft, ob sie neu oder bereits bekannt ist. Diese Aufgabe übernimmt ein für das Gedächtnis sehr wichtiges Hirnareal: der Hippocampus. Erkennt dieser, dass es sich um eine neue Information handelt, schickt er ein Signal in den Bereich der Basalganglien, die im Zentrum des Gehirns liegen.
Damit nicht wahllos alles Neue in das Langzeitgedächtnis übergeht, wird hier nun überprüft, ob die eingegangene Information für unser Verhalten wichtig ist und ob sie vielleicht auch auf eine Belohnung hindeutet. Das Ergebnis melden die Basalganglien mittels eines Botenstoffs, dem Dopamin, an den Hippocampus zurück und sorgen so dafür, dass relevante Informationen besser in das Gedächtnis eingespeichert werden.
Nico Bunzeck, Leiter unseres Teams und Professor an der Universität zu Lübeck, konnte bereits zeigen, dass jenes System von Lernen und Gedächtnisbildung bei älteren Menschen offenbar nicht mehr so gut funktioniert. Uns interessierte nun die Frage nach dem Warum.
Dabei konzentrierten wir uns auf einen Punkt: Es ist nämlich bekannt, dass sich mit fortschreitendem Alter auch bei gesunden Menschen in den Basalganglien Eisenablagerungen bilden. Mit Hilfe einer speziellen, unter anderem am Wellcome Trust Centre for Neuroimaging in London entwickelten Methode der Kernspintomographie gelang es uns, diese sehr feinen Veränderungen im Gehirn zu untersuchen. Und tatsächlich fanden wir, dass die Lern- und Gedächtnisleistung der Studienteilnehmer umso schlechter war, je mehr Eisen sich in den Basalganglien abgelagert hatte.
Vermutlich stört eine übermäßige Menge des ansonsten für den Körper so wichtigen Spurenelements an dieser Stelle das Dopamin, welches ja die Information zum Hippocampus leiten soll. Zudem zeigte sich in unserer Studie auch, dass die Eisenablagerungen in einem negativen Zusammenhang mit dem sogenannten Myelin standen: Je mehr Eisen sich abgelagert hatte, desto weniger Myelin war im Bereich der Basalganglien vorhanden. Myelin umgibt die Nervenfasern und wirkt wie eine elektrische Isolierung. Ist es defekt, werden Signale ungenauer weitergeleitet. Die Informationsübertragung zum Hippocampus funktioniert also vermutlich nicht mehr richtig.
Lässt sich das bei den älteren Teilnehmern nicht mehr so gut funktionierende System aber vielleicht anstoßen, indem man die Information, die eingespeichert werden soll, mit einer Belohnung verbindet? Denn die Basalganglien reagieren, wie oben beschrieben, stärker auf eine belohnte Information. Dabei gilt: Je größer die erwartete Belohnung, desto mehr Dopamin wird freigesetzt und desto wahrscheinlicher wird eine Information eingespeichert. Die Basalganglien reagieren dabei nicht nur auf die Information einer direkten Belohnung (zum Beispiel ein leckeres Eis), sondern auch bereits auf Hinweisreize, die eine Belohnung vorhersagen (das Klingeln des nahenden Eiswagens). Dieser Mechanismus ist von zentraler Bedeutung, denn er sorgt dafür, dass wir unsere kognitiven und körperlichen Ressourcen verstärkt für Aufgaben gebrauchen, von denen wir uns einen Nutzen erhoffen.
Dabei ist uns der Einfluss der Belohnung meist gar nicht bewusst. Verspricht man einer Testperson beispielsweise fünf Euro, wenn sie an einem Hebel zieht, greift sie völlig unnötigerweise und ohne dies selbst zu bemerken kräftiger zu, als jene, die keine Belohnung erwartet. Ob also eine Verbindung zwischen einem Hinweis und einer entsprechenden Belohnung – auch unbewusst – erlernt wurde, kann man unter anderem an einer verstärkten körperlichen Reaktion messen.
Inwiefern dieses Erlernen einer Verknüpfung zwischen einem Hinweisreiz und einer Belohnung in älteren Menschen noch funktioniert, untersuchten wir bei einem Versuch mit jungen und älteren Probanden. Die Aufgabe war denkbar einfach. Die Versuchsteilnehmer mussten einfach nur per Knopfdruck angeben, ob die auf einem Bildschirm gezeigten Fotos in einem Gebäude oder außerhalb aufgenommen wurden. Das Entscheidende: Mit jedem Bild bekamen sie die Information, ob sie für die richtige Einordnung nur 10 Cent oder einen Euro Belohnung bekommen würden. Dabei maßen wir sowohl die Reaktionszeiten als auch – mit Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG) – die Hirnaktivität.
Tatsächlich reagierten die jungen Versuchsteilnehmer deutlich schneller, wenn ihnen die höhere Belohnung winkte, obwohl ja nur die richtige Antwort zählte, nicht aber die Geschwindigkeit der Entscheidung belohnt wurde. In diesen Fällen zeigte sich auch eine deutliche Änderung in der Hirnaktivität. Bei den älteren Probanden waren beide Effekte, die Reaktionsgeschwindigkeit und die Hirnaktivität, hingegen nicht zu beobachten. Auf den Bildern des Kernspintomographen war schließlich zu sehen, dass dies mit entsprechend geschwächten Myelinscheiden der Basalganglien zusammenhing. Der Abbau von Myelin im hohen Alter führt also vermutlich auch dazu, dass die Basalganglien die Verbindung zwischen Hinweisreiz und Belohnung nicht richtig verarbeiten können.
Die Erkenntnisse dieser Studien fügen unserem Wissen über die biologischen Grundlagen kognitiver Veränderungen neue Aspekte hinzu und liefern somit Anhaltspunkte für weitere Forschung, die sich mit der drängenden Frage nach dem „Was tun?“ gegen den kognitiven Abbau im Alter beschäftigt. So wiesen zum Beispiel verschiedene Forscher bereits darauf hin, dass Vorfreude, Neugier und das Erkunden von Neuem das Lern- und Gedächtnissystem positiv beeinflussen können – und es dadurch vermutlich im Alter fit halten. Wie groß dieser Effekt wirklich ist und inwiefern davon auch die strukturellen Veränderungen im Gehirn beeinflusst werden, müssen weitere Studien zeigen. Der Rat, sich seine Neugier zu bewahren, aktiv zu bleiben und Neues zu wagen, ist aber ganz sicher nicht falsch.
Neugier hält jung
Wer sich auf Dinge freut und Neues ausprobiert, trainiert seinen Dopaminhaushalt – und damit auch sein Gedächtnis
Zehn-, zwanzig- oder dreißigtausendmal am Tag werden wir mit einem Ereignis konfrontiert, müssen in einer bestimmten Situation reagieren oder eine Entscheidung treffen. An die allermeisten werden wir uns Sekunden später schon nicht mehr erinnern: Sie bremsen an der Kreuzung, hängen Ihren Mantel an den Haken und fahren den Rechner hoch.
Der Grund dafür liegt in unserem Gehirn, das permanent Wichtiges von Unwichtigem unterscheidet – und nur einen winzigen Teil der Sinneswahrnehmungen im Gedächtnis abspeichert. Entschieden wird das durch den Botenstoff Dopamin, der bei positiven aber auch negativen Erlebnissen ausgeschüttet wird und zu einer Speicherung im Gedächtnis führt.
Auch bei Neugierde scheint er eine große Rolle zu spielen. Wie dies geschieht, fanden Forscher um Matthias Gruber von der University of California in Davis mit Hilfe von Probanden heraus, indem sie ihnen Quizfragen vorlegten. Dabei sollten die Befragten vor jeder Frage sagen, wie gespannt sie auf die Antwort sind. Diese wurde ihnen 14 Sekunden später präsentiert. In dieser Wartezeit sahen sie das Porträt eines Menschen, das mit dem Quiz überhaupt nichts zu tun hatte.
Später fragten die Forscher, ob sich die Probanden an eben diese Gesichter erinnern können. Das Ergebnis: Je neugieriger die Probanden die Antwort auf eine spannende Frage erwarteten, umso besser konnten sie sich auch an die eingeblendeten Gesichter erinnern.
Allein die Neugier führte offenbar zu einer Steigerung des Gedächtnisses – ein Effekt, der nachweislich viele Stunden anhielt. Auf Computerscans ist zu sehen, wie das Gehirn bei einer spannenden Frage das Belohnungszentrum aktivierte: Das Warten auf eine spannende Antwort ging mit der Ausschüttung von Dopamin einher.
Kurzum: Wer neugierig ist, lernt und behält besser. Und: Wer neugierig ist, trainiert seinen Dopaminhaushalt und hält sein Hirn fit. Denn Langeweile und Routine sind die Rivalen des Botenstoffs.
Von Joachim Schüring