Dr. Martin Pitzer mit einem Molekül in der Hand
©Tim Wegner

Physik Ein Handabdruck der Moleküle

Wie unsere Hände gibt es auch viele Moleküle in einer rechten und einer linken Variante. Bisher war es äußerst schwierig, die Händigkeit eines Moleküls direkt zu bestimmen. Eine neue Technik aus der Physik kann sie nun sichtbar machen – und greift damit der Chemie unter die Arme, erklärt KlarText-Preisträger Dr. Martin Pitzer.

von Dr. Martin Pitzer

Stellen Sie sich vor, Sie reichen auf einer Party oder bei einem Geschäftstermin zur Begrüßung ausnahmsweise einmal die linke Hand anstatt der rechten – die Irritationen werden vermutlich nicht ausbleiben. Obwohl rechte und linke Hand gleich aufgebaut sind, sind sie Spiegelbilder voneinander und nicht identisch. Ohne dass wir es merken, treten in unserem Stoffwechsel ähnliche Situationen auf: Viele Moleküle in unserem Körper besitzen ebenfalls eine bestimmte „Händigkeit“ und können nur mit dem entsprechenden Partner richtig wechselwirken und ihre Funktion erfüllen. Dies lässt sich mit der geometrischen Struktur dieser Moleküle erklären: Da sie aus vielen Atomen zusammengesetzt sind, können Moleküle sehr komplexe Formen annehmen. Im Chemieunterricht werden zur Veranschaulichung dieser Strukturen Modelle mit Kugeln (für die Atome) und Stäben (für die chemischen Bindungen) verwendet. Wenn man mit diesen Modellen hantiert, kann man erkennen, dass sich aus den gleichen Atomen verschiedene Strukturen, sogenannte Isomere, bauen lassen. Ein Beispiel für diese Isomerie sind Moleküle, die wie unsere Hände als Bild und Spiegelbild auftreten – scheinbar gleich, und doch nicht durch Drehen und Verschieben deckungsgleich zu machen. Nach dem griechischen Wort für „Hand“ werden solche Moleküle „chiral“ genannt.

Glücklicherweise kommen in der Natur nur Moleküle mit zueinander passender Händigkeit vor, sodass die biologischen Prozesse meist reibungslos ablaufen können. Anders sieht es bei Stoffen aus, die im Labor hergestellt werden, insbesondere bei künstlich synthetisierten Medikamenten. Hier werden oft beide molekularen Hände hergestellt, obwohl nur eine der beiden tatsächlich als pharmazeutischer Wirkstoff fungiert und die Einnahme des spiegelbildlichen Moleküls wirkungslos oder sogar schädlich sein kann.

Es besteht also großes Interesse daran, die Händigkeit von Molekülen zu bestimmen, um beispielsweise die nicht benötigte Variante herauszufiltern. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind deshalb zahlreiche Methoden entwickelt worden, um diese Ziele zu erreichen.

Diese Methode ermöglicht es, pro Laserpuls nur ein einziges Molekül zu treffen und seine Eigenschaften zu untersuchen.

Reinhard Dörner

Eine besondere Schwierigkeit hierbei ist allerdings, die mikroskopische Händigkeit des einzelnen Moleküls – die Anordnung der Kugeln und Stäbe – zu bestimmen. Denn meistens misst man im Labor Eigenschaften, die durch die Mittelung über eine unvorstellbar große Anzahl an Molekülen zustande kommen. Die Verknüpfung mit der mikroskopischen Struktur der einzelnen Moleküle erfordert entweder komplizierte Berechnungen oder die Reaktion mit Referenzsubstanzen, bei denen die Händigkeit bereits bekannt ist.

Dr. Martin Pitzer "hält" Moleküle.
©Tim Wegner
Ein Schuss mit dem Laser lässt das Molekül explodieren. Aus den Bruchstücken kann Martin Pitzer am Computer rekonstruieren, welche der beiden spiegelbildlichen Varianten vorlag.

Das Ziel meiner Dissertation war es, mit einer neuen Technik aus der Atomphysik einen direkten Handabdruck der Moleküle zu finden. Bei dieser Technik, dem sogenannten Reaktionsmikroskop, wird ein gasförmiger Strahl aus isolierten Molekülen erzeugt und in eine Experimentierkammer mit extrem gutem Vakuum geleitet. Dort findet die Reaktion mit einem sehr kurzen und sehr intensiven Laserpuls statt, der bewirkt, dass das Molekül auseinanderbricht. Die Fragmente werden dann von speziellen Messinstrumenten detektiert. „Diese Methode ermöglicht es, pro Laserpuls nur ein einziges Molekül zu treffen und seine Eigenschaften zu untersuchen“, erläutert Professor Reinhard Dörner, maßgeblich an der Entwicklung des Reaktionsmikroskops beteiligt und Erstgutachter meiner Dissertation. „Eine große Herausforderung besteht allerdings darin, die Fragmentation eines komplexeren Moleküls in seine einzelnen Bestandteile zu erreichen, diese vollständig zu detektieren und ihre Eigenschaften korrekt zu analysieren.“

Genau dies war jedoch nötig für meinen Ansatz, die Händigkeit von Molekülen zu bestimmen: Um die rechtshändige Struktur von der linkshändigen zu unterscheiden, so die Idee, könnte man das Molekül durch die Wechselwirkung mit dem Laserstahl „explodieren“ lassen und Flugrichtung sowie –geschwindigkeit der verschiedenen Atome, aus denen das Molekül aufgebaut war, messen. Mit diesen Informationen hoffte ich, bestimmen zu können, welche der beiden Strukturen vor der Explosion vorlag – so wie man zumindest prinzipiell aus dem Funkenregen eines Feuerwerkskörpers auf seinen Aufbau zurückschließen kann. Wie dieser lassen sich auch die Moleküle nach der Untersuchung nicht weiterverwenden; die Methode eignet sich also nicht zur Trennung und weiteren Verwendung der Moleküle, sondern nur zur stichprobenartigen Analyse einer Substanz.

Das Molekül fliegt auseinander

Um herauszufinden, ob sich diese Idee umsetzen lässt, wählte ich eines der einfachsten Moleküle, das als links- und rechtshändige Struktur auftreten kann. Bromchlorfluormethan besteht aus einem Kohlenstoffatom als Zentrum, an dem vier weitere einzelne Atome hängen: Brom, Chlor, Fluor und Wasserstoff. Wenn zwei dieser vier Bindungsarme miteinander vertauscht werden, wird das Molekül in sein Spiegelbild überführt. Mehr Anordnungsmöglichkeiten gibt es nicht, denn weitere Vertauschungen der Bindungsarme lassen sich immer auf die Drehung einer der beiden Strukturen zurückführen.

Mit einem selbst geschriebenen Computerprogramm simulierte ich zunächst, wie das Molekül nach der Reaktion mit dem Laserpuls auseinanderfliegt. Damit konnte ich überprüfen, ob die obige Annahme, dass die Flugrichtungen der Atome ihre ursprüngliche Anordnung widerspiegeln, für dieses Molekül zutrifft. Die Ergebnisse zeigten, dass die Hypothese korrekt ist, und verrieten, welche Einstellungen ich an der Apparatur vornehmen musste, um mit ihr einen Handabdruck der Moleküle zu sehen. Dieser ist übrigens auch dann eindeutig bestimmbar, wenn die Moleküle in der Apparatur gar nicht gleich ausgerichtet, sondern beliebig orientiert sind. Sobald genügend Fragmente gemessen werden, kann man die Händigkeit des Moleküls unabhängig von seiner Orientierung im Raum herausfinden – schließlich können wir anhand der Anordnung der Finger und der Handfläche auch bei beliebigen Verrenkungen der Arme stets die rechte Hand von der linken unterscheiden.

Dr. Martin Pitzer arbeitet in der Vakuumkammer
©Tim Wegner
In der Vakuumkammer des Reaktionsmikroskops werden die Moleküle vom Laser beschossen.

Bevor ich die Unterscheidung auch experimentell zeigen konnte, galt es noch einige Hürden zu überwinden. So musste ich zuerst weitere Versuchsbedingungen, beispielsweise die benötigte Intensität der Laserpulse und die optimale Dichte des Molekülstrahls, herausfinden. Nach einigen Messreihen war die gesuchte Molekülexplosion in den Daten zu erkennen, und eine genaue Analyse ergab, dass die Händigkeit der Moleküle eindeutig bestimmt werden konnte. Da eine chemische Trennung in rechte und linke Moleküle bei der verwendeten Substanz sehr schwierig ist, hatte ich eine Mischung mit der gleichen Anzahl an rechts- und linkshändigen Molekülen verwendet – und diese Anteile auch in den Messergebnissen gefunden.

Damit war klar, dass das Reaktionsmikroskop den Handabdruck einzelner Moleküle sichtbar machen kann – allerdings hatte ich ein vergleichsweise einfaches Molekül untersucht. Je komplexer die Strukturen werden, desto schwieriger ist es, alle einzelnen Atome zu detektieren und ihre Flugbahnen zu analysieren. Mit weiteren Messungen an meinem Beispielmolekül konnte ich zeigen, dass dies glücklicherweise gar nicht nötig ist: Selbst wenn man eine unvollständige Explosion herbeiführt, bei der zwei der fünf Atome aneinander gebunden bleiben, liefert die Methode noch einen zuverlässigen molekularen Handabdruck.

Trotz dieser Erfolge: Um das Verfahren für die Analyse in der Pharmazie nutzen zu können, sind noch einige Schritte nötig; insbesondere muss es nach und nach auf größere Moleküle ausgeweitet werden. Doch nicht nur für die Anwendung in der Diagnose ist die Methode interessant. Weil in der Natur fast alle Moleküle nur in einer Händigkeit auftreten, kann man sich fragen: Ist es Zufall, dass wir und alle anderen Lebewesen genau aus diesen Bausteinen bestehen und nicht aus den Spiegelbildern? Oder gibt es eine tiefer liegende Ursache, die bisher noch niemand identifizieren konnte? Der präzise Handabdruck der Moleküle, den wir mit unserer Methode messen, kann weite in Zukunft helfen, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen.

Eine Frage allerdings wird die Physik kaum beantworten können: Warum die Menschen in allen Kulturen überwiegend Rechtshänder sind und es sich deshalb eingebürgert hat, sein Gegenüber mit der rechten Hand zu begrüßen.

Dr. Martin Pitzer

1984 geboren in Freiburg

2004 Abitur in Tauberbischofsheim

2005 bis 2011 Diplomstudium der Physik am Karlsruher Institut für Technologie

2011 bis 2015 Promotionsstudium an der Universität Frankfurt im Fachbereich Physik

11.05.2015 Promotion zum Dr. phil. nat.

Seit 2015 Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Physik der Universität Kassel

Info: www.uni-kassel.de/go/pitzer

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