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Chemie Kleine Fenster, große Erkenntnisse

Damit die Gewinnung von Wasser­stoff günstiger und effizienter wird, brauchen wir Katalysatoren. Und ein tief­gehendes Verständnis darüber, wie diese funktionieren. Dazu müssen wir die Katalysatoren direkt bei ihrer Arbeit beobachten

von Dr. Hanna Trzesniowski

Es ist einer dieser kalten, grauen Winter­abende in Berlin, an denen sich die Menschen in ihre Wohnungen zurück­ziehen. Während ich die Straße entlang­trotte, sehe ich durch die Fenster hier eine Familie am Esstisch und da eine Studentin, die im Licht der Schreib­tisch­lampe auf ihre Bücher starrt. Wie interessant es doch ist, einen kurzen Blick durch ein Fenster zu erhaschen und zu verfolgen, was in den Wohnungen vor sich geht.

Und genau das machen wir Wissenschaftler:innen, wenn wir Operando-Spektroskopie­methoden anwenden. Mit dem Unterschied, dass die Fenster um ein 1000-Faches kleiner sind. Statt unserer Nachbar:innen beobachten wir am Helmholtz-Zentrum Berlin Materialien, die einen entscheidenden Beitrag zur Energie­wende leisten könnten. Spektroskopie bedeutet, dass elektro­magnetische Strahlung, zum Beispiel Licht oder Röntgen­strahlen, dafür eingesetzt wird. Das lateinische Wort operando bedeutet so viel wie „während des Betriebes“ und beschreibt Mess­methoden, bei denen ein System in seinem aktiven Zustand unter realen Reaktions­bedingungen untersucht wird.

Eines dieser Materialien, das die Blicke der Wissen­schaftler:innen auf sich zieht, sind Nickel-Eisen-Katalysatoren für die elektrolytische Wasser­stoff­erzeugung. Die Reaktion zur Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasser­stoff entdeckten die beiden Niederländer Adriaan van Troostwijk und Johan Deiman schon im Jahre 1789. Stammt die für die Spaltung von Wasser benötigte Energie aus erneuerbaren Ressourcen wie Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft, ist der ungiftige und geruchs­lose Wasserstoff ein nach­haltiger Träger erneuer­barer Energien. Dieser „grüne Wasser­stoff“ könnte daher eine Schlüssel­rolle dabei spielen, uns aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu befreien.

Ein Blick in die Welt der Katalysatoren: Dieses kleine Fenster aus Siliziumnitrid ermöglicht der Chemikerin Hanna Trzesniowski, Katalysatoren in ihrem aktiven Zustand zu beobachten
©Annette Mueck
Ein Blick in die Welt der Katalysatoren: Dieses kleine Fenster aus Siliziumnitrid ermöglicht der Chemikerin Hanna Trzesniowski, Katalysatoren in ihrem aktiven Zustand zu beobachten

Für die großtechnische Produktion von Wasserstoff sind Materialien erforderlich, die die Spaltung von Wasser in seine gas­förmigen Bestand­teile effizienter gestalten. Diese sogenannten Katalysatoren senken den Energie­aufwand und beschleunigen die Reaktion. Für die Entwicklung effizienter und stabiler Katalysatoren ist vor allem eines notwendig: ein tief­gehendes Verständnis ihrer Funktions­weise.

Auch wenn sich viel über einen Katalysator lernen lässt, indem man ihn vor und nach seiner Arbeit untersucht, bleibt eine entscheidende Frage offen: Was ist „während des Betriebes“ passiert? Sie beschäftigt uns Chemiker:innen und Physiker:innen, die sich Operando-Spektroskopie­methoden verschrieben haben. Unser Ziel ist es, den Katalysator durch das „Wohnungs­fenster“ zu beobachten – unmittelbar während der Wasser­spaltung. So können wir live verfolgen, wie der Katalysator arbeitet und welche Veränderungen während der Reaktion stattfinden.

Für die Beleuchtung sorgt in unserem Fall die Synchrotron­strahlungs­quelle BESSY II. Die Strahlung entsteht, indem Elektronen beschleunigt und auf eine Kreisbahn gebracht werden. Flitzen die schnellen Elektronen um die Kurve, emittieren sie eine intensive Strahlung, die sogenannte Synchrotron­strahlung, die direkt auf das 0,5 mal 0,5 Millimeter große und 75 Nanometer dünne Fenster aus Siliziumnitrid gelenkt wird, hinter dem der Katalysator seine Arbeit verrichtet.

In unserem Fall ist der Katalysator nicht nur von Wasser umgeben, sondern auch von positiv geladenen Teilchen, die sich frei in der Lösung bewegen: von Natriumionen. Die Frage, was während der Wasserspaltung mit diesen Natriumionen geschieht, beschäftigt Wissenschaftler:innen seit Langem. Sie hatten beispielsweise die Idee, den Katalysator während der Wasser­spaltung mit einer sehr empfindlichen Waage zu wiegen. Allerdings konnten sie auf diese Weise nur die Änderungen der Masse verfolgen. Warum der Katalysator ab einem gewissen Punkt unmittelbar vor der Entstehung der ersten Wasser­stoff­moleküle schwerer wird, konnten sie nicht sagen. Hat es mit dem Wasser zu tun? Oder mit den Natriumionen? Oder liegt die Erklärung gar in einer Veränderung des Katalysators?

Um das herauszufinden, bedienten wir uns der Operando-Röntgen­absorptions­spektroskopie (X-ray Absorption Spectroscopy, XAS) am BESSY II. Dazu braucht man eine Flusszelle – um beim Beispiel vom Anfang zu bleiben: die „Wohnung“ des Katalysators. Das Herzstück ist jenes Fenster aus Silizium­nitrid, und dazu kommen zwei Öffnungen, durch die ständig Wasser strömt. Auf diese Weise können wir sowohl den Katalysator als auch das Wasser sowie die Natriumionen mit XAS beobachten.

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Dabei zeigt sich, dass sich der Katalysator während der Reaktion umwandelt. Liegen dessen Schichten vor der Wasser­spaltung noch eng beisammen, so dehnen sie sich im Laufe der Wasser­spaltung aus und bleiben danach in einem ungeordneten Zustand zurück. Das ist keine neue Erkenntnis und wurde schon mit verschiedensten Methoden beobachtet. Richten wir unseren Blick jedoch auf die Natrium­ionen, sehen wir, was zuvor in dieser Art noch nie gezeigt wurde: Die Natriumionen schlüpfen in die Hohlräume, die entstehen, wenn sich der Katalysator ausdehnt. Das passiert zu einem Zeitpunkt, kurz bevor der Katalysator seine Arbeit aufnimmt und Wasser zerlegt, so als wollten die Natrium­ionen ganz nah dran sein, wenn es spannend wird. Verändern wir die Bedingungen, sodass die Wasser­spaltung stoppt, verlassen auch die Natriumionen die Zwischen­räume wieder. Aller­dings nicht alle: Ein Teil der Natrium­ionen bleibt zwischen den Schichten zurück, selbst wenn der Katalysator an keiner Reaktion mehr beteiligt ist.

Wir wissen, dass Natriumionen nicht alleine unterwegs sind. Normalerweise schwirren Wasser­moleküle eng um ein Natriumion herum, wie Bodyguards, die einen Hollywood­star auf Schritt und Tritt begleiten. Wenn wir noch ein wenig genauer durch das Fenster schauen, können wir sogar diese Bodyguards beobachten und sehen dabei: Selbst wenn die Natrium­ionen sich in den Hohlräumen des Katalysators zusammen­drängen, wollen sie auf keinen ihrer Bodyguards verzichten.

Doch was bedeutet das? Verstopfen die Natriumionen den Katalysator und erschweren dadurch seine Arbeit? Nein, ganz im Gegenteil. Wir konnten zeigen, dass Natrium­ionen die optimale Größe haben, um die Katalysator­schichten sowie wichtige Zwischen­produkte zu stabilisieren. Sie sorgen für einen geregelten Ablauf, ohne aber im Weg zu sein, wie eine gut­mütige Großmutter, die ihren energie­geladenen Enkel in der Küche an die Hand nimmt. Gibt die Groß­mutter an den richtigen Stellen kleine Hilfe­stellungen, ohne dem Enkel den Koch­löffel ganz zu entreißen, führt das zu einem stolzen Enkel und zu genießbaren Pfann­kuchen. Gleiches gilt für die Wasser­spaltung: Ionen mit dem richtigen Maß an „Aufdringlichkeit“ ermöglichen, dass der Katalysator effizient arbeiten kann.

Schaffen wir es, Wasserstoff effizient, kosten­günstig und nach­haltig zu gewinnen, können wir ihn viel­fältig einsetzen – besonders in Bereichen, die aktuell durch Treib­haus­gas­emissionen den Klima­wandel voran­treiben. So kann Wasserstoff nicht nur als Treibstoff für Kraft­fahr­zeuge eingesetzt werden, sondern auch zur Herstellung von Dünge­mitteln und Arznei­mitteln. Möglicher­weise kann er uns sogar an einem dieser grauen, kalten Winter­abende wärmen.

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Grüner Wasserstoff ist zu teuer. Noch …

Die Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050 ist nach wie vor erklärtes Ziel vieler Länder. Spätestens dann wollen sie ihre Energie­versorgung, Industrie­betriebe, Gebäude und alle anderen Sektoren derart umgebaut haben, dass der Ausstoß von Kohlen­dioxid gleich null ist. Neben dem Strom aus Wind- und Solar­anlagen spielt dabei „grüner“ Wasser­stoff eine Schlüssel­rolle. Grün, weil er mit Strom aus erneuer­baren Quellen erzeugt wird und deshalb weitgehend klima­neutral ist.

Benötigt wird Wasserstoff vor allem in Bereichen, die sich nicht einfach elektrifizieren lassen – zum Beispiel in der Schwer­industrie, dem Schiffs­verkehr oder der Luftfahrt. Hier kann Wasser­stoff direkt verbrannt oder zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe eingesetzt werden, die sich ein­facher und sicherer transportieren lassen. Noch ist grüner Wasserstoff teurer als fossile Alternativen: Derzeit muss man dafür je nach Standort bis zu viermal mehr zahlen als für den „grauen“ Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird.

Im Zuge der technischen Weiterentwicklung wird sich dieser Abstand zukünftig aber verkleinern. Ähnliches gilt für die Skalierung der Anlagen – je größer ein Elektrolyseur ist, desto preiswerter produziert er Wasserstoff. Und last, but not least: Der Strom­preis wird mit jedem neuen Wind- und Solar­kraft­werk weiter sinken.

Die tatsächliche Entwicklung der Energie­kosten ist somit abhängig von der Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien, den Investitionen in Infra­struktur und von technologischen Fortschritten. Das Schweizer Bundesamt für Energie etwa rechnet kurz­fristig zwar mit höheren Kosten, dafür aber bis 2050 mit einer Stabilisierung oder sogar einer Senkung der Energie­preise infolge sinkender Kosten für erneuerbare Energien. — J. Schüring

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