Über den (angeblich) nicht ganz unwichtigen Teil einer Publikation
Früher, als über das große Ganze noch wenig bekannt war, hatten Abhandlungen aus dem „Gebiete der Naturwissenschaften“ noch Überschriften wie: „Über den Granit“ (Goethe), „Über die Entstehung der Arten“ (Charles Darwin) oder „Über den Aufbau des Atominnern“ (Lise Meitner). Wer heute ein Fachblatt aufschlägt, stößt eher auf Titel wie diesen von Pei Fang Sim et al.: „The SH3 binding site in front of the WH1 domain contributes to the membrane binding of the BAR domain protein endophilin A2“.
Während vor 60 Jahren im Schnitt sechs bis zehn Worte reichten, um zu sagen, worum es geht, sind es heute elf bis 15 (DOI: 10.1002/leap.1498). Das Journal Cell empfiehlt zehn bis zwölf Wörter, Herr Sim gönnt sich 22. Ob er mit seinem Titelwurm die SH3-Aficionados begeistern kann, ist uns nicht bekannt – aber für sein Impact- Factor-Punktekonto womöglich nicht unwichtig.
Leider ist die Literatur aus dem Bereich der Überschriftenforschung so dünn wie ihre Methodik. So probierte ein Team Überschriften an 99 Studierenden aus – und diese meinten dann, dass längere eher besser sind als kürzere (10.1177/0098628320959948). Ein anderes Team hingegen stellte die Titellängen von 140 000 publizierten Arbeiten der Häufigkeit gegenüber, mit der diese anderswo zitiert werden. Ihr unscharfer Schluss: „Papers with shorter titles may be easier to understand, and hence attract more citations.“ Wer genauer in die Daten schaut, erkennt: Es gibt Jahre, in denen gehen längere Titel besser, in anderen kürzere (10.1098/rsos.150266). Fazit: Lang oder kurz? Schnurz.
Das schlussfolgern auch andere und raten zu lustigen Titeln. Hypothese: Witzige Überschriften wecken mehr Lust aufs Lesen. Methodik: Freiwillige bewerten die Witzigkeit, die dann mit der Zitierhäufigkeit in Bezug gesetzt wird. Resultat: Originelle Titel werden signifikant häufiger zitiert (10.1139/facets-2022-0079). Leider, wir ahnen es, halten andere dagegen: „Sehr amüsante“ Überschriften werden eher seltener zitiert (10.1177/0165551507086261).
Und das womöglich auch zu Recht. Denn viele Titel, die es in die Best-of-Listen im Internet schafften, bringen allenfalls eingeweihte Nerds zum Lachen. Andere sind unfreiwillig komisch, etwa „Chemical processes in the deep interior of Uranus“ – eine astronomische Arbeit, keine proktologische.
Die meisten „sehr amüsanten“ Titel stammen übrigens aus den medizinischen Disziplinen, in denen man gern mit dem branchenüblich rustikalen Humor scherzt: „miR miR on the wall, who’s the most malignant medulloblastoma miR of them all?“ Oder: „Die hard: Are cancer stem cells the Bruce Willises of tumor biology?“ Oder: „A lucky catch: Fishhook injury of the tongue“. Einer noch: „An In-Depth Analysis of a Piece of Shit: Distribution of Schistosoma mansoni and Hookworm Eggs in Human Stool“. Hm.
Am Ende müssen wir aus unserer Recherche wohl schließen: Eine wirksame Titelstrategie gibt es nicht. Ein toller Impact Factor muss andere Gründe haben. Vielleicht schreibe ich das Ganze mal zusammen – unter der Überschrift: „It’s the content, stupid!“