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Physik Eine Reise zu den Schwarzen Löchern

Was passiert mit einem Astro­nauten, der in ein Schwarzes Loch stürzt? Kann es sein, dass er hindurch­fällt und sein weiteres Schicksal unvorher­­sag­bar wird? Das wäre ein großes Problem für die ­All­gemeine Relativi­täts­­theorie

von Dr. Christiane Klein

Das Universum ist voller Schwarzer Löcher. Soweit wir wissen jedenfalls, denn es liegt in ihrer Natur, dass sie sich der Beobachtung weitgehend entziehen. Zum Beispiel wird ein Beobachter von außerhalb niemals sehen, was einem Astronauten passiert, der in ein Schwarzes Loch fällt. Um das zu ergründen, müssen wir uns auf eine Reise durch das Universum mithilfe der Mathematik begeben.

Mathematisch lassen sich Schwarze Löcher mit Einsteins Allgemeiner Relativitäts­theorie verstehen. Diese Theorie beschreibt, wie Masse und Energie Raum und Zeit krümmen. Diese Krümmung ist das, was wir als Gravitation wahrnehmen. Manche Lösungen der „Einstein­gleichungen“ enthalten eine Region in Zeit und Raum, die so gekrümmt ist, dass selbst Licht aus ihr nicht mehr entkommen kann – ein Schwarzes Loch. Am einfachsten lassen sich Schwarze Löcher mathematisch unter der Annahme beschreiben, dass sie sich mit der Zeit nicht verändern. In diesem Fall charakterisieren ein Schwarzes Loch drei Eigenschaften: Masse, elektrische Ladung und ein Dreh­moment, das seine Rotation beschreibt.

Beobachten wir unseren Astronauten in der Nähe eines Schwarzen Lochs. Was passiert mit ihm, wenn er den sogenannten Ereignis­horizont überquert hat – jene Grenz­fläche, ab der sogar Licht dem Schwarzen Loch nicht mehr entkommen kann? Die Antwort ist abhängig von der Art des Schwarzen Lochs. Wenn es elektrisch geladen ist oder rotiert, verfügt es nicht nur über einen Ereignis­horizont, sondern über einen weiteren Horizont in seinem Inneren. Von hier an kann auch die Allgemeine Relativitäts­theorie keine Antworten mehr geben, selbst wenn wir zu einem früheren Zeitpunkt den genauen Zustand des gesamten Universums kennen würden. Dieser Verlust der Vorhersagbarkeit ist ein prinzi­pielles Problem der Allgemeinen Relativitäts­theorie.

In der klassischen Physik geht man davon aus, dass eine Theorie zumindest hypothetisch vorhersagen kann, was mit dem beschriebenen physikalischen System passiert, sofern man seinen Zustand zu einem früheren Zeitpunkt genau kennt. Das Schicksal unseres Astronauten würde also bedeuten, dass die Allgemeine Relativitäts­theorie dieses Prinzip verletzt und damit als klassische Theorie unvollständig ist. Wir können nicht sagen, was mit dem Astronauten passiert. Er könnte in ein anderes Universum fallen, Zeitreisen machen – oder seine verlorenen Socken wieder­finden.

Die Reise des Astronauten gibt jedoch auch Hinweise auf eine mögliche Lösung. Denn alles, was jemals zu irgend­einem Zeitpunkt in ein Schwarzes Loch fällt, ob Astronaut oder Quanten­teilchen, endet am inneren Horizont. Diese Anhäufung sorgt dafür, dass Raum und Zeit am inneren Horizont unendlich stark gekrümmt werden und dem Astronauten die Weiter­reise unmöglich machen. Tatsächlich reicht schon eine winzige Veränderung aus, um den inneren Horizont unüber­windbar zu machen. Diese Idee ist die Basis der „starken kosmischen Zensur­vermutung“ des britischen Mathematikers und theoretischen Physikers Sir Roger Penrose. Damit wäre das Problem mit der Vorhersagbarkeit gelöst.

©Annette Mueck
Wenn die Physikerin Christiane Kern Antworten auf Fragen von geradezu kosmischer Bedeutung sucht, muss sie vor allem eines tun: komplizierte Gleichungen lösen

Bisher weiß man nicht, ob, und wenn ja, in welcher genauen mathematischen Form diese Vermutung stimmt. Einige Formen der Vermutung wurden allerdings bereits ausgeschlossen. Spannend wird es, wenn man die sich beschleunigende Ausdehnung des Alls – die kosmische Expansion – berücksichtigt. In diesem Fall kann sogar eine abgeschwächte Form der Zensur­vermutung verletzt sein. Diese Verletzung tritt insbesondere auf, wenn das Schwarze Loch eine große elektrische Ladung hat.

Allerdings berücksichtigt dieses Ergebnis nur ­klassische Effekte. Was aber, wenn man Quanten­­effekte einbezieht? Wir wissen, dass Materie auf kleinen Skalen am besten durch Quanten­feld­theorien beschrieben wird und dass Quanten­effekte einen gewaltigen Effekt auf Schwarze Löcher haben ­können. Ein Beispiel dafür ist die bahn­brechende Entdeckung von Stephen Hawking. Demnach können Schwarze Löcher durch ihre Wechselwirkung mit Quanten­feldern verdampfen. Doch sind diese Effekte auch stark genug, um die starke Zensur­vermutung in den Fällen zu retten, in denen sie klassisch verletzt ist?

Dem wollten wir auf den Grund gehen – und haben zunächst verschiedene Quanten­feld­theorien am inneren Horizont eines stark geladenen Schwarzen Lochs und unter dem Einfluss der kosmischen Expansion betrachtet. Bisherige Untersuchungen dazu basieren auf möglichst einfachen Theorien – ohne die kosmische Expansion zu berücksichtigen und für ein Feld, das masselose Teilchen beschreibt.

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Ein erster Schritt bestand darin, die bestehenden Ergebnisse um die kosmische Expansion und masse­behaftete Teilchen zu erweitern. Dazu brachten wir die ziemlich komplizierte Gleichung zunächst in eine für Computer­berechnungen geeignete Form und implementierten anschließend einen Algorithmus, mit dem sich die Gleichung lösen lässt. So fanden wir heraus: Das Verhalten des Quanten­feldes kann tatsächlich dafür sorgen, dass die starke Zensur­vermutung in diesem Fall gilt.

Doch dieses einfache Quantenmodell ist noch unbefriedigend, da es ungeladene Teilchen beschreibt. Man braucht jedoch geladene Materie, um ein geladenes Schwarzes Loch zu erzeugen. Außerdem wird auch in einem solchen Szenario die Zensur­vermutung klassisch verletzt. Daher haben wir als Nächstes das Verhalten eines geladenen Quanten­­feldes studiert. Wir haben eine Formel erarbeitet, mit der man das Problem wieder auf das Lösen einer Gleichung mithilfe eines ähnlichen Algorithmus wie im ersten Fall reduzieren kann. Dazu mussten wir nicht nur einen Zustand für das Quantenfeld wählen und dann demonstrieren, dass er physikalisch Sinn ergibt. Hier bekommt man es auch mit schwierigen Unendlichkeiten zu tun, die man durch ein Verfahren namens Renormierung oder andere magische mathematische Tricks ­loswerden muss.

Nachdem diese Schwierigkeiten überwunden waren, konnten wir das Verhalten des geladenen Quanten­feldes schließlich numerisch berechnen. Das Ergebnis hat uns überrascht. Die Quanteneffekte waren zwar wieder stark genug, um die Zensur­vermutung zu erhalten. Doch sie konnten lokal die Ladung des Schwarzen Lochs erhöhen – also genau das Gegenteil von dem, was man ohne die Krümmung von Zeit und Raum erwarten würde. Damit konnten wir zeigen, dass ein intuitives Verständnis von Quanten­physik im Inneren von Schwarzen Löchern nicht mehr ausreichend ist, um Quanten­effekte zu verstehen.

Wir sind noch eine Stufe weitergegangen: Wir haben uns rotierenden Schwarzen Löchern zugewandt. Zwar ist hier keine Verletzung der abgeschwächten Zensur­vermutung bekannt, aber diese Schwarzen Löcher bilden ein besseres Modell für die Schwarzen Löcher im All. Hier haben wir erst den ersten Schritt getan, da rotierende Schwarze Löcher mathematisch noch deutlich komplizierter sind. Wir haben einen geeigneten Zustand für unser einfaches Quanten­feld konstruiert und gezeigt, dass er physikalisch sinnvoll ist.

Doch nicht nur in diesem Fall gibt es noch viel zu tun. Wir haben einen Beitrag zu der Frage geleistet, wie Quanten­effekte das Schicksal unseres hypothetischen Astronauten beeinflussen. Es ist aber weiterhin offen, was mit ihm passiert, wenn sich das Schwarze Loch mit der Zeit verändert. Oder wenn man berücksichtigt, dass es langsam verdampft. Oder was passiert, wenn man versucht, auch
Gravitation mit einer Quanten­theorie zu beschreiben. Wir stehen also gerade erst am Anfang der mathe­matischen Reise ins Innere der Schwarzen Löcher.

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Die Weltformel

Über eine vielleicht für immer unerfüllte Sehnsucht

Selten werden Forschende berühmt, noch seltener Teil der Popkultur. Albert Einstein ist einer davon – und man kann fragen, warum. Schließlich hat der Physiker mit seinen ­Relativitäts­theorien ein Formelwerk vorgelegt, das zwar jede:r mit Namen kennt, aber die meisten von uns eben auch nur das. Und vermutlich ist genau das der Grund: Albert Einstein streckt die Zunge raus und erklärt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das fasziniert, auch wenn es kaum jemand versteht. Stephen Hawking ist ein anderes Beispiel.

Auch wenn Forscher:innen noch immer neue Bestätigungen für Einsteins geniale Theorien finden, helfen ihnen seine Formeln nicht immer weiter. So beschreiben sie nicht, was Materie ist. Oder Licht. Sie liefern keine Antworten auf Fragen wie: Was hält die Atome zusammen? Oder: Wie funktioniert moderne Elektronik? In diesen Bereichen ­bewähren sich andere Regeln: die der Quanten­mechanik.

So ganz verstehen Forschende das Universum also nicht – ein Satz, bei dem man unwillkürlich ein „noch“ vor das „nicht“ stellen möchte. Beide Regelwerke zu kombinieren, in einer alles vereinenden „Weltformel“ – das ist der Traum. Heerscharen von Astro­physiker:innen suchen danach – ohne zu wissen, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Noch gibt es lediglich Ansätze, die Namen tragen wie String­theorie oder Schleifen­quanten­gravitation. Viele Forscher:innen denken gar, die Mühe sei umsonst, eine Weltformel gebe es schlichtweg nicht.

Und wenn doch? Selbst wenn sich das ganze Universum in einer ­Gleichung beschreiben ließe und wir wüssten, was die Welt im Innersten zusammen­hält, könnten wir noch immer nicht sagen, was Liebe ist, warum Blumen schön sind – oder Butter unter das Nutella muss. — J. Schüring

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